Holger Vetter
Originalbeschreibung
Liste
des reptiles nouveaux découverts, en 1866, sur la côte sud-ouest
de Madagascar.- Revue et Magasin de Zoologie Pure et Appliquée,
Paris, Ser. 2, 19: S. 233
Originalname
Testudo
planicauda GRANDIDIER, 1867
Holotypus
Nummer
9373 im Muséum National d’Histoire Naturelle in Paris, Frankreich
Terra
typica
Mouroundava
(= Morondava, Provinz Toliara, Madagaskar)
Terra
typica restricta (BOUR, 1981)
Morondava,
province de Tuléar, Madagascar (pourrait être restrainte a
la forêt d’Andranomena) (= Wald von Andranomena bei Morondava, Provinz
Toliara, Madagaskar)
Etymologie
planicauda
= (lat.) flachschwänzig; bezieht sich auf den abgeflachten Schwanz
dieser Art
Systematik
Die
1972 von VUILLEMIN aus Morondava beschriebene Testudo morondavaensis, deren
Typusexemplar etwas höckerige Wirbelschilder besitzt, ist nach einhelliger
Auffassung aller Fachleute ein Synonym von Pyxis planicauda.
Trivialnamen
Deutsch:
auch Madagassische Flachrückenschildkröte, Flachrückenschildkröte
Englisch:
Madagascar flat-shelled spider tortoise (= Madagassische Flachpanzer-Spinnen-Landschildkröte),
Madagascar flat-shelled tortoise (= Madagassische Flachpanzer-Landschildkröte),
Flat-shelled spider tortoise (= Flachpanzer-Spinnen-Landschildkröte),
Flat-tailed tortoise (= Flachschwänzige Landschildkröte), Flat-backed
spider tortoise (= Flachrückige Spinnen-Landschildkröte), Madagascar
flat-backed tortoise (= Madagassische Flachrücken-Landschildkröte),
Malagasy flat-tailed tortoise (= Madagassische Flachschwanz-Landschildkröte),
Madagascar flat-tailed tortoise (= Madagassische Flachschwanz-Landschildkröte),
Madagascan flat-tailed tortoise (= Madagassische Flachschwanz-Landschildkröte)
Französisch:
Tortue à queue plate (= Plattschwanzschildkröte). Pyxide à
dos plat (= Plattrücken-Pyxis)
Italienisch:
Acinisside
Madagaskar:
Kapidolo
Niederländisch:
Madacascar platrugschildpad (= Madagaskar-Plattrückenschildkröte)
Spanisch:
Tortuga de cola plana (= Flachschwanzschildkröte)
Beschreibung
Rückenpanzer
länglichoval, oberseits etwas abgeflacht, mit steil abfallenden, fast
parallel verlaufenden Seiten. Kleine Einkerbung in der Nackenregion. Hintere
Randschilder abwärts gebogen. Nackenschild kurz und breit, nicht immer
vorhanden. Wirbelschilder breiter als lang, Areolen etwas erhaben und von
stark ausgeprägten Wachstumsringen umrahmt. Knöcherne Wirbelplatten
sechseckig oder quadratisch, nie achteckig; zwei Steißplatten vorhanden.
Naht zwischen knöchernen Rippen- und Randplatten liegt über Naht
zwischen Rippen- und Randschildern. Auf jeder Seite elf Randschilder, Schwanzschild
ungeteilt. Areolen der Wirbel- und Rippenschilder gelblich bis hell- oder
manchmal rotbraun, mit breitem dunkelbraunem bis schwarzem Rand, der bei
älteren Tieren seinerseits wiederum gelb oder hellbraun gerahmt sein
kann. Von den Areolen ziehen gelbliche bis hellbraune Linien strahlenförmig
zu den Schildrändern; auf den Wirbelschildern sind es meist 4-9, auf
den Rippenschildern 2-4 Strahlen. Randschilder dunkel, mit einem gelben
oder hellbraunen Streifen. Manche Tiere zeigen im Erwachsenenalter dagegen
einen einfarbig grauen Rückenpanzer.
Gut
entwickelter Bauchpanzer ohne Scharnier; bei erwachsenen Weibchen oft leichte
Beweglichkeit an den Nähten zwischen Schenkel- und Afterschildern
(d. h. vor und zwischen den knöchernen Xiphiplastralplatten), was
die Ablage der relativ großen Eier ermöglicht. Vorderlappen
länger und schmaler als Hinterlappen, läuft nach vorne hin spitz
zu. Hinterlappen kurz und breit, keine Einkerbung zwischen den Afterschildern.
Afterschilder hinten leicht abgerundet. Kehlschilder paarig ausgebildet
und verdickt, stehen vorne etwas über Vorderrand des Rückenpanzers
hinaus; tiefe Einkerbung zwischen den Kehlschildern. Auf jeder der breiten
Brücken 1-2 kleine Achsel- und 1-2 größere Hüftschilder.
Knöcherne Achsel- und Hüftstreben des Bauchpanzers kurz und kräftig.
Bauchpanzer gelblich, an den Seiten, vor allem entlang der Bauchschilder,
mit einigen dunklen Tupfen oder Strahlenzeichnungen.
Kopf
mittelgroß, Schnauze nicht hervorspringend, Oberkiefer mit leichtem
Hakenschnabel. Oberkieferknochen mit schwacher mittelständiger Kauleiste;
Kieferränder ungesägt. Quadratbein umschließt den Steigbügel.
Öffnungen im vorderen Bereich des Palatinumknochens klein. Kopf überwiegend
dunkelbraun oder schwarz gefärbt, mit gelben Zeichnungselementen variabler
Zahl und Form. Oberkiefer hell gefärbt.
Beine
keulenförmig, Vorderfüße mit fünf Krallen. Vorderseite
der Vorderbeine mit großen gelben, einander nicht überlappenden
Schuppen in 7-9 Längsreihen bedeckt. Spornartige Schuppen auf den
Fersen der Hinterfüße, auf den Oberschenkeln mehrere kleine
stumpfe Hornkegel. Vorderseite der Vorderbeine mit einer Längsreihe
großer, einander nicht überlappender Schuppen bedeckt. Schwanz
deutlich abgeflacht, Schwanzspitze mit großem Hornnagel versehen.
Beine und Schwanz hellbraun, Schuppen auf den Beinen gelb.
Größe
Die
Flachrücken-Spinnenschildkröte erreicht eine Rückenpanzerlänge
von bis zu etwa 13,7 cm und ein Gewicht von bis zu ca. 429 g.
Geschlechtsunterschiede
Männliche
Pyxis planicauda erreichen eine Rückenpanzerlänge von
bis zu etwa 13 cm und eine Panzerbreite von bis zu ca. 9 cm. Weibchen dagegen
werden bis zu etwa 13,7 cm lang und 10 cm breit. Während weibliche
Tiere ein Gewicht von bis zu etwa 420 g erreichen, werden ihre männlichen
Artgenossen nicht schwerer als 330 g.
Männliche
Exemplare besitzen einen längeren, dickeren Schwanz als ihre weiblichen
Artgenossen. Der Analspalt liegt bei Männchen fast an der Schwanzspitze.
Der Bauchpanzer männlicher Tiere ist leicht konkav eingedellt. Laut
KUCHLING sind die Geschlechter ab einem Alter von 10-12 Jahren unterscheidbar.
Verbreitung
Die
Flachrücken-Spinnenschildkröte bewohnt ein sehr kleines Areal
an der Westküste Madagaskars. Es handelt sich dabei um die Region
zwischen den Flüssen Morondava und Tsiribihina. Hier fand man die
Art bisher an folgenden Orten:
Unterarten
Von
Pyxis planicauda sind bisher keine Unterarten bekannt.
Lebensraum
Die
Art kommt ausschließlich in kleinen, isolierten, trockenen, laubabwerfenden
Laubwald- und Buschregionen des Küstentieflandes in Höhen unter
100 m vor. Diese Gebiete sind nicht ganz so trocken wie die von der nahe
verwandten Pyxis arachnoides besiedelten Region. Die Wälder
weisen einen hohen Bestand an großen, 12-15 m hohen Bäumen und
eine dichte, vier bis acht Meter hohe Unterholzschicht auf. Dominierende
Baumarten sind die Affenbrotbäume der Gattung Adansonia und Bäume
der Gattung Commiphora, die eine Höhe von über 25 m erreichen
können. Bedingt durch den dichten Baumbestand, der kaum Sonnenlicht
durchlässt, ist der Pflanzenbewuchs im Bodenbereich nur äußerst
spärlich. Die Schildkröten führen hier im feuchten Mikroklima
des ganzjährig vorhandenen Falllaubes eine sehr verborgene Lebensweise.
Sie meiden offenbar die unmittelbare Nähe von Flüssen oder Teichen,
wobei letztere in den Wäldern relativ häufig sind; Fließgewässer
bilden sich nur auf dem Höhepunkt der Regenzeit.
Das
Klima im Verbreitungsgebiet von Pyxis planicauda ist semiarid und
tropisch heiß. Die Durchschnittstemperaturen liegen im Lebensraum
der Flachrücken-Spinnenschildkröte in der Umgebung der Stadt
Morondava nach Angaben GERALD KUCHLINGS bei folgenden Werten:
Populationsdichte
GERALD
KUCHLING konnte die Dichte der von ihm untersuchten Population nicht genau
bestimmen; er fand trotz einwöchiger intensiver Suche in einem vorher
festgelegten Quadratkilometer Wald nur zehn Tiere. Von den während
seiner Studie insgesamt untersuchten Tieren waren 69 % geschlechtsreif,
das Geschlechterverhältnis lag bei einem Männchen auf 0,7 Weibchen.
BEHLER und seine Mitarbeiter fanden von Dezember 1992 bis Januar 1993 an
den im Kapitel „Verbreitung“ genannten Orten insgesamt 60 Pyxis planicauda
(19 Männchen, 18 Weibchen und 23 Jungtiere).
Jahresaktivität
Die
recht kühle sieben- bis neunmonatige Trockenzeit von April bis November
oder gar Januar, während der die meisten Bäume ihre Blätter
abwerfen, verbringt die Flachrücken-Spinnenschildkröte vergraben
in der relativ feuchten, kühlen, etwa 10 cm hohen Humusschicht des
Waldbodens unter dem Falllaub oder unter vermoderndem Holz; so ist zu erklären,
warum der Rückenpanzer älterer Exemplare oft mit Algen, Flechten
und Pilzen überwachsen ist. Auch Jungtiere legen diese Ruhezeit bereits
in ihrem ersten Lebensjahr ein, ohne stärker an Gewicht zu verlieren.
Wenn in der Trockenzeit eines der sehr seltenen Gewitter niedergeht, verlassen
die Tiere ihre Ruheplätze und wandern am Waldboden umher. Auch in
der Regenzeit sind die Schildkröten während und nach stärkeren
Regenfällen am aktivsten. Durch ihre kontrastreiche Färbung sind
die Tiere auf dem Waldboden gut getarnt und oft nur schwer zu entdecken.
Tagesaktivität
Pyxis
planicauda ist eine tagaktive Art; die Nächte verbringt sie im
Waldboden vergraben. Von GERALD KUCHLING untersuchte im Falllaub vergrabene
Exemplare hatten im Dezember eine Kloakentemperatur von 26-29,5 °C;
am Morgen, wenn sie ihre Ruheplätze verließen, wiesen die Tiere
eine Kloakentemperatur von 23-24 °C auf. Die von KUCHLING beobachteten
Schildkröten blieben immer im Waldschatten verborgen und suchten nie
das Sonnenlicht auf.
Fortpflanzung
Paarungen
wurden von Januar bis Anfang März registriert. Ein in der Forststation
von Ampijoroa gepflegtes Weibchen wurde Ende Januar 1995 gegen 16.45 Uhr
bei der Eiablage beobachtet; während der ganzen Prozedur war es fast
vollständig unter der dichten Laubdecke verborgen. Gegen 20 Uhr hatte
das Tier die Eiablage beendet und die Nistgrube wieder verschlossen; erschöpft
schlief es auf seinem Nest ein. Ein anderes Weibchen begann gegen 11 Uhr
mit der Eiablage. Das Gelege umfasst nur ein einziges relativ großes
Ei, das ca. 3,3-3,6 x 2,5-3,0 cm groß und etwa 15-20 g schwer ist.
Pro Saison und Weibchen sind bis zu drei Gelege möglich.
Die
Jungtiere schlüpfen nach einer Inkubationszeit von bis zu etwa 260
Tagen im November oder Dezember. Sie besitzen einen schokoladenbraunen
Rückenpanzer mit vier cremeweißen Streifen und leicht gesägte
Randschilder (vor allem vorne).
Ernährung
Pyxis
planicauda ernährt sich offenbar hauptsächlich von Baumfrüchten,
die aufgrund des artenreichen Waldes (über 200 Baumarten) fast immer
zur Verfügung stehen, da die verschiedenen Früchte auch zu unterschiedlichen
Zeitpunkten reifen und auf den Waldboden fallen. Daneben fressen die Tiere
noch die jungen Triebe und Blätter niedriger Büsche. BEHLER vermutet
Pilze und herabgefallene Baumblüten als regelmäßige Nahrung
dieser Tiere; die in der Zuchtstation von Ampijoroa geschlüpften Jungtiere
bevorzugten eindeutig Pilze.
Gefährdung
Pyxis
planicauda wird von der IUCN (= Internationale Naturschutzunion)in
die Gefährdungskategorie „Endangered“ (= „Gefährdet“) ihres Rotbuches
gestellt. Die Flachrücken-Spinnenschildkröte ist demnach innerhalb
der nächsten Jahre stark vom Aussterben bedroht. Bei dieser Art wurde
innerhalb der letzten drei Generationen oder der letzten zehn Jahre (ausschlaggebend
ist der längere Zeitraum) ein Rückgang um mindestens 50 % beobachtet.
Diese Einschätzung basiert auf dem Schrumpfen des Verbreitungsgebietes
und/oder dem Rückgang geeigneter Lebensräume und dem Ausmaß
der Nutzung durch den Menschen. Das potentielle Verbreitungsgebiet umfasst
eine Fläche von weniger als 5.000 km², und von den bekannten
Populationen wird ein Areal von insgesamt weniger als 500 km² Ausdehnung
besiedelt, wobei beide Schätzungen zufolge auch weiterhin schrumpfen;
auch ein weiterer Verlust an Populationen und geeigneten Lebensräumen
wird erwartet. Insgesamt ist das Verbreitungsgebiet der Art stark fragmentiert;
möglicherweise existieren inzwischen höchstens noch fünf
Populationen. Präzise Schätzungen der Populationsgröße
fehlen bisher, daher lässt sich nicht exakt feststellen, wie es um
die Art tatsächlich bestellt ist.
Die
größte Bedrohung für das Überleben der Art ist wohl
die fortschreitende Vernichtung ihres Lebensraumes in dem geburtsfreudigen
Land Madagaskar; man geht davon aus, dass sich die menschliche Bevölkerung
des Landes bis zum Jahre 2015 etwa verdoppeln wird. Der Umfang der Waldrodung
zu land- und viehwirtschaftlichen Zwecken oder für die Suche nach
Erdöl wurde im Westen Madagaskars wie im ganzen Land ungehemmt in
riesigem Ausmaß betrieben. Der größte Teil der madagassischen
Wälder wurde so bereits vernichtet. Im Verbreitungsgebiet der Art
selbst werden z. T. noch immer Bäume gefällt, um sie dem Holzhandel
oder einer Verwertung als Brennstoff zuzuführen.
Der
Wald von Andranomena ist zum größten Teil von Kultur- und Agrarlandschaft,
vor allem riesigen Maisfeldern, umgeben und existiert daher nicht mehr
als das noch 1986 von ROGER BOUR beschriebene ökologisch intakte Waldsystem,
obwohl das Gebiet offiziell als „Réserve speciale“ ausgewiesen ist;
zudem fiel ein großer Teil des Waldes in den Jahren 1985 bis 1989
der Brandrodung zum Opfer. Unmittelbar östlich von Andranomena wurden
1987 in einem Sekundärwaldgebiet eine riesige Zuckerrohrplantage mit
künstlichen Bewässerungsanlagen und eine Zuckerfabrik gebaut;
beim Anlegen der Plantage in den Jahren 1985/86 kamen die letzten Schildkröten,
die so lange im Sekundärwald ausharren konnten, unter die Planierraupen.
Die Abwässer der Zuckerfabrik suchen ungeklärt ihren Weg durch
die Waldreste zur Küstenmangrove. In der Region nördlich des
Waldes von Amborompotsy haben US-amerikanische Erdölsucher ein Netz
von Autopisten durch die letzten Wälder gezogen, an denen einheimische
brandrodende Bauern entlangziehen.
Eine
weitere Gefahr stellt vermutlich die in ganz Madagaskar stark zunehmende
Zahl der vom Menschen hier eingeführten Larvenschweine (Potamochoerus
larvatus) dar, da man davon ausgehen kann, dass diese Tiere auch die Gelege
und Jungtiere von Pyxis planicauda nicht als Nahrung verschmähen.
Von der einheimischen menschlichen Bevölkerung werden die Tiere kaum
gegessen.
Der
Fang der Tiere für den internationalen Tierhandel spielte bisher noch
keine Rolle bei der Bedrohung der natürlichen Bestände; nach
Angaben von BEHLER werden Schildkröten dieser Art aber bereits im
Internet zum Kauf angeboten. Die USA führten von 1989 bis Mitte 1994
acht Exemplare im Gesamtwert von 120 US-$ ein.
Schutzmaßnahmen
Die
Art steht in Anhang II des Washingtoner Artenschutzübereinkommens
und Anhang A der Verordnung Nr. 338/97 der Europäischen Union, außerdem
fällt sie unter EU-Verordnung Nr. 939/97, das Bundesnaturschutzgesetz
und die Bundesartenschutzverordnung. Für den deutschen Halter bedeutet
dies: Der Besitz, der Kauf und die kommerzielle Vermarktung von Flachrücken-Spinnenschildkröten
sind grundsätzlich verboten. Eine Ausnahme hiervon ist nur unter bestimmten
Voraussetzungen, hauptsächlich für in der EU gezüchtete
oder rechtmäßig aus Drittländern in die EU gelangte Exemplare,
möglich. Flachrücken-Spinnenschildkröten dürfen nur
nach vorheriger Erteilung einer Einfuhrgenehmigung durch das Bundesamt
für Naturschutz in Bonn importiert werden. Grundsätzlich dürfen
Wildexemplare nicht für kommerzielle und private Zwecke importiert
werden. Die Einfuhr gezüchteter Exemplare ist in bestimmten Fällen
möglich. Die Einfuhrgenehmigung ist an die entsprechenden Ausfuhrdokumente
des Exportstaates (CITES-Dokumente) gebunden. Die Einfuhrgenehmigung und
die Dokumente des Herkunftslandes sind der zuständigen Zollstelle
bei der Abfertigung vorzulegen. Die Haltung ist nach der Bundesartenschutzverordnung
nur sachkundigen Personen erlaubt, die eine den Ansprüchen der Tiere
entsprechende Unterbringung gewährleisten können. Die Schildkröten
müssen zudem bei den nach Landesrecht zuständigen Behörden
gemeldet (und gegebenenfalls abgemeldet) werden. Außerdem müssen
äußerlich erkennbare, individuelle, unveränderliche Körpermerkmale
dokumentiert werden (die genaue Methodik wird derzeit noch ausgearbeitet).
Die
Vermarktung innerhalb der EU erfordert grundsätzlich eine Genehmigung
der zuständigen Vollzugsbehörde (CITES-Bescheinigung).
Bei
der Ausfuhr aus der EU sind dem Zoll eine Ausfuhrgenehmigung oder eine
Wiederausfuhrbescheinigung (zu erteilen durch das Bundesamt für Naturschutz)
vorzulegen; grundsätzlich muss eine tierschutzgerechte Versendungsform
gewährleistet sein.
Die
für die Land- und Süßwasserschildkröten zuständige
Spezialistengruppe der IUCN führt die Flachrücken-Spinnenschildkröte
aufgrund ihres sehr kleinen Verbreitungsgebietes in Kategorie 2 ihres Aktionsplans;
Untersuchungen zur Gefährdung der noch existierenden Populationen
hält sie für dringend notwendig.
In
Madagaskar selbst sind Ausfuhr und Verzehr der Art inzwischen ebenso wie
eine extensive Brandrodung verboten; die Haltung der Schildkröten
innerhalb des Landes ist nur mit behördlicher Genehmigung erlaubt.
Der
Wald von Andranomena befindet sich in Privatbesitz und gehört zumindest
teilweise zum ebenfalls privaten Analabe-Reservat. Regierungseigentum ist
dagegen der Wald von Amborompotsy; er wurde an die Schweizer Gesellschaft
für Technische Zusammenarbeit verpachtet, die das Centre de Formation
Professionnelle Forestière de Morondava betreibt und sich die schonende
und erhaltende Nutzung des Waldes zum Ziel gesetzt hat; zwar wird der Wald
einer Holznutzung unterzogen, als intaktes Ökosystem aber nicht zerstört.
Im
April 1988 wurden im Wald von Amborompotsy fünf (zwei ??, drei ??)
Pyxis planicauda gefangen und zur Forststation von Ampijoroa verbracht,
die heute für ihre überragenden Zuchterfolge bei der ebenfalls
aus dem Westen Madagaskars stammenden und stark bedrohten Madagassischen
Schnabelbrustschildkröte (Astrochelys yniphora) bekannt ist. Es wird
angestrebt, durch den Aufbau von Zuchtgruppen auch bei Pyxis planicauda
ähnliche Erfolge zu erzielen. Die in Ampijoroa untergebrachten Exemplare
legten bis zum Einsetzen der Regenfälle im November 1988 erst einmal
eine Ruhezeit ein, die nur zwei der Tiere kurzfristig während eines
der seltenen Gewitter im Juli unterbrachen. Im November nahmen die Schildkröten
schließlich ihre Aktivitäten auf, fraßen und paarten sich
bis etwa Anfang Januar. Die Freianlage in Ampijoroa ist fast vollständig
mit Falllaub bedeckt. Die meiste Zeit ihres kurzen, nur fünfmonatigen
Aktivitätszeitraumes verbringen die Tiere unter der Laubschicht ruhend;
nur morgens und während Regenfällen kommen sie zur Nahrungsaufnahme
und zur Paarung an die Oberfläche. Während der ersten Jahre der
Haltung in Ampijoroa waren die Schildkröten sehr scheu und stellten
bei der geringsten Störung sofort jegliche Aktivität ein. Die
erste Eiablage wurde im Jahre 1990 registriert, doch war das Ei unbefruchtet.
1992 schlüpften schließlich im Januar bzw. Februar zwei Jungtiere
in der Freianlage, ohne dass die Gelege zuvor vom Personal der Forststation
entdeckt wurden. Im Januar der Jahre 1993 und 1995 schlüpfte jeweils
ein weiteres Jungtier direkt im Gehege. Leider starb das jüngste Tier
bereits im Alter von zwei bis drei Monaten im März 1995, ohne die
geringsten Anzeichen einer Erkrankung oder Verletzung zu zeigen. Innerhalb
der nächsten vier Wochen starben auch die anderen drei Jungtiere;
nur eines davon zeigte einige Tage vor seinem Tode eine geschwollene Kloake.
REID wollte die Möglichkeit, dass die Tiere an einer Pilzvergiftung
starben, nicht völlig ausschließen, doch wies er darauf hin,
dass Pilze die Hauptnahrung der Jungtiere darstellen und man deshalb davon
ausgehen kann, dass die Tiere instinktiv wissen, welche Arten sie fressen
können und welche nicht. In den Jahren 1995 bis 1997 schlüpften
nochmals insgesamt zehn Jungtiere (1995: zwei; 1996: zwei; 1997: sechs).
Der
bereits bestehende Schutz für den restlichen Lebensraum der Art sollte
auf jeden Fall verstärkt werden. Dringend erforderlich sind auch weitere
Studien zur Biologie und Gefährdung von Pyxis planicauda. Als
finanziellen Grundstock stellte die IUCN hierfür eine Summe von 25.000
US-$ zur Verfügung. Leider sind Exkursionen während der Regenzeit,
der Hauptaktivitätszeit der Art, im Westen Madagaskars wegen der sintflutartigen
Niederschläge, die Dörfer und Camps durch das Überfluten
von Flüssen von der Außenwelt abschneiden und Feldwege unpassierbar
machen, äußerst problematisch.
Kulturgeschichte
Die
Flachrücken-Spinnenschildkröte ist auf Münzen und Briefmarken
bisher noch nicht zu finden. Die einzige uns bekannte diesbezügliche
Darstellung einer Pyxis planicauda betrifft eine Telefonkarte von
der Insel Jersey, auf der GERALD DURRELL seinen berühmten Zoo gründete,
der sich heute u. a. auch die Zucht dieser Schildkrötenart zum Ziel
gesetzt hat. Auf der Telefonkarte ist das Ehepaar DURRELL gemeinsam mit
fünf Praktikanten offenbar unterschiedlichster Herkunft zu sehen.
Im Vordergrund „tummeln“ sich mehrere Tierarten, die an die unterschiedlichen
Erhaltungszuchtprogramme erinnern, die von den DURRELLS ins Leben gerufen
werden. Die „Reptilienabteilung“ wird dabei von einer Pyxis planicauda
repräsentiert. Diese sehr begehrte Telefonkarte erzielt heute Preise
von umgerechnet etwa 17.- DM.
Haltung
Aufgrund
der Seltenheit von Pyxis planicauda wird der normalsterbliche Schildkrötenliebhaber
wohl kaum in die Verlegenheit kommen, sich den Kopf über eine artgerechte
Unterbringung der Tiere zerbrechen zu müssen. Die Art sollte nur von
sehr erfahrenen Haltern mit den notwendigen Kenntnissen und optimalen Haltungsmöglichkeiten
gepflegt werden, wie auch den Haltungsrichtlinien des Bundeslandwirtschaftsministeriums
zu entnehmen ist. Diese Haltungsrichtlinien sehen für die gemeinsame
Haltung von bis zu zwei Exemplaren als Mindestlänge des Terrariums
die vierfache Panzerlänge des größten Tieres vor; die Terrarienbreite
sollte ca. die Hälfte der Terrarienlänge betragen. Für die
dritte und vierte im gleichen Behälter gepflegte Flachrücken-Spinnenschildkröte
sollte mindestens 10 %, ab dem fünften Tier 20 % mehr Grundfläche
zur Verfügung stehen. Da Flachrücken-Spinnenschildkröten
in der Regel untereinander sehr verträglich sind, ist eine gruppenweise
Haltung möglich.
Ihrem
Lebensraum entsprechend benötigt Pyxis planicauda ein geheiztes
Terrarium mit einer hohen, leicht feuchten Schicht aus einem Gemisch aus
Buchenlaub und Torfmoos und eine mehrmonatige Ruhephase mit einer etwas
kühleren, trockeneren Haltung. Außerhalb der Trockenphase erhöht
das tägliche leichte Überbrausen der Terrarieneinrichtung die
Luftfeuchtigkeit. Als Bodensubstrat haben sich in den letzten Jahren auch
Buchenhäcksel bewährt, da auch sie nicht durchnässen und
schimmeln, aber dennoch in den unteren Schichten leicht feucht bleiben.
Eine Bodenheizung und einige Spotstrahler sorgen tagsüber für
die erforderlichen Temperaturen von ca. 26-30 °C (unter den Strahlern
lokal bis zu 45 °C), eine Leuchtstofflampe für die Gesamthelligkeit.
Wichtig ist, dass die Schildkröten die Möglichkeit haben, sich
auch an schattigere, kühlere Stellen zurückzuziehen; man sollte
daher nur etwa ein Drittel oder die Hälfte des Terrariums gut beleuchten
und zusätzlich Kübelpflanzen aufstellen, die Schatten bieten.
Nachts sollte die Temperatur auf etwa 20 °C, während der kühleren
Ruheperiode sogar auf 13-15 °C absinken. Zur Einrichtung des Terrariums
gehört auch ein flaches Wasserbecken.
Als
Eiablageplatz kann eine in den Bodengrund eingelassene Wanne dienen, die
mit einem lockeren Gemisch aus Erde, Sand und Torf gefüllt wird. Dabei
sollte das Substrat von vorne nach hinten in seiner Höhe leicht ansteigen,
damit die Weibchen Wahlmöglichkeiten haben. Ein Strahler wird so über
bzw. eine Bodenheizung unter dem Eiablageplatz installiert, dass sich die
Bodentemperatur zwischen 30 und 35 °C bewegt; in den Randbereichen
finden die Weibchen die Temperaturen, die für die Wahl des Nistplatzes
ausschlaggebend sind.
Der
Betrieb solcher Zimmerterrarien mit hohem Feuchtigkeitsgrad ist nicht unproblematisch.
Die elektrischen Anlagen und die Holzteile müssen sehr gut gegen die
ständige Feuchtigkeit isoliert werden. Probleme bereitet auch eine
ständig beschlagene Sichtscheibe; eine starke Belüftung verhindert
zwar ein Beschlagen, senkt aber die Luftfeuchtigkeit. Am besten sorgt man
für eine schwache Belüftung im unteren Bereich der Frontscheibe.
Zu bedenken ist außerdem, dass in einem solche feuchten Milieu auch
Krankheitserreger besonders gute Bedingungen vorfinden, weshalb Futterreste
und Ausscheidungen täglich entfernt werden müssen.
MATZ,
STEMMLER und VANDERHAEGE fütterten ihre Tiere mit Melonen, Tomaten,
Birnen und Äpfeln; Kopfsalat wurde ebenso wie Klee, Löwenzahn,
Gurken, Kohl und Hackfleisch verschmäht. Das Wachstum der in Ampijoroa
geschlüpften Jungtiere verlief sehr langsam, bis das Personal der
Zuchtstation feststellte, dass sie Pilze als Nahrung bevorzugen.
Eine
Freilandhaltung kann nur in den Sommermonaten empfohlen werden, die klimatisch
am ehesten der Regenzeit im natürlichen Lebensraum entsprechen. Die
Freianlage muss über Sonnenplätze, ein möglichst beheizbares
Schutzhaus und schattenspendende Gewächse verfügen. Außerdem
müssen die Tiere die Möglichkeit haben, sich in eine Laubschicht
einzuwühlen. Da diese kleinen Schildkröten eine sehr verborgene
Lebensweise führen und es unter Umständen schwierig sein kann,
sie z. B. bei einem Temperatursturz schnell aufzufinden, sollte die Anlage
sehr übersichtlich und nicht zu groß dimensioniert sein; im
Zweifel sollte bei Pyxis planicauda auf eine Freilandhaltung besser
verzichtet werden.
Detaillierte
Berichte über Haltungserfahrungen liegen bislang fast ausschließlich
aus zoologischen Gärten vor. Auch diese Einrichtungen, die in der
Regel über ganz andere technische und finanzielle Möglichkeiten
verfügen als der durchschnittliche private Liebhaber, können
bisher jedoch kaum Zuchterfolge nachweisen. Der Zoo von Knoxville (Tennessee,
USA) z. B. erhielt zwar 1975 ein Paar dieser Art, doch pflanzten sich die
Tiere nicht fort; nach dem relativ frühen Tode des Weibchens verstarb
schließlich auch das Männchen im Jahre 1987. Auch im Zoo von
San Diego (California) und in einem Tierpark im US-Bundesstaat Connecticut
wurden Flachrücken-Spinnenschildkröten gehalten, doch ist über
die dortigen Erfahrungen ebenso wie über die von JAMES JUVIK vom College
in Hilo (Hawaii) gepflegten Exemplare anscheinend nichts bekannt.
Den
einzigen kleinen Nachzucht„erfolg“ außerhalb Madagaskars kann bisher
der Zoo von Jersey verzeichnen. Auch hier waren allerdings die ersten abgelegten
Eier unbefruchtet, oder die Embryos starben aus unbekannten Gründen
vor dem Schlupf ab. Am 20.8.1995 schlüpfte dann jedoch das erste Jungtier,
das allerdings bereits 1997 bedauerlicherweise im Alter von 18 Monaten
starb; es verlor während der Ruhezeit stark an Gewicht und musste
nach vier Monaten „geweckt“ werden. Das Jungtier machte zuerst einen guten
Eindruck und fraß auch, doch stellte es schließlich die Nahrungsaufnahme
ein und starb kurz darauf. Auch eines der Zuchtweibchen war nach einer
Bauchfellentzündung leider nicht mehr zu retten. Der Zoo hat nun zur
möglichst naturnahen Imitation des heimatlichen Klimas in der Anlage
der Flachrücken-Spinnenschildkröten eine Klimaanlage installiert,
deren Kauf durch Spenden der Mitglieder der British Chelonia Group (umgerechnet
ca. 15.000.- DM!) ermöglicht wurde, die das Jahr 1996 zum „Jahr der
Kapidolo“ erklärt hatte. Während der künstlichen „Regenfälle“
in der Anlage der Tiere dämpfen die Pfleger gleichzeitig die Beleuchtung
und spielen eine Tonkassette mit den Geräuschen eines Gewitters ab
(!). Der Zoo setzt weitere Hoffnung in sein Zuchtprojekt und hat weitere
drei erwachsene Weibchen aus Madagaskar erhalten. Auch die Zoos von Knoxville
und New York (Bronx Zoo) besitzen heute wieder Exemplare von Pyxis planicauda
und wollen mit dem Zoo von Jersey in einem Nachzuchtprojekt kooperieren.
Die fünf New Yorker Tiere wurden mittlerweile in der Forschungs- und
Zuchtstation der Wildlife Conservation Society auf der Insel Saint Catherine
(Georgia) untergebracht.
Literatur
Biologie und Gefährdung